Omphalina pyxidata – Der Rotbraune Nabeling

Veröffentlicht in: Pilzbesprechungen | 0

Recherchen und Bericht: Jürg und Edith Mächler-Frey

Zusammenfassung

In einem Stadtzürcher Friedhof fanden wir sehr viele Exemplare einer Pilzart, die wir in einer ersten Vermutung als Nabelinge (Omphalina) auffassten.
Da es jedoch viele nabelingsartige Pilzgattungen und -arten gibt, die sich teilweise sehr ähneln, galt es, die Hypothese “Omphalina” mittels makro- und mikroskopischer Untersuchungen, ausgewählter Literatur und speziellen Internetseiten zu verifizieren oder falsifizieren.

Einleitung

Am 1. November 2021 fanden wir in einem Stadtzürcher Friedhof sehr viele Exemplare einer kleinen rotbräunlichen Lamellen-Pilzart mit auffallender Vertiefung in der Hutmitte und deutlich geriefter Hutoberfläche. Die Vermutung kam auf, es könnte sich um eine Nabelings-Art (Omphalina sp.) handeln.
Insgesamt zählten wir an diesem Datum 106 Exemplare dieser Pilzart auf einer Fläche von ca. 60m2.

Beschreibung des Habitats

Beim Habitat der gefundenen Pilzfruchtkörper handelt es sich um eine Parkanlage (Friedhof) auf 450 Meter Höhe in der Stadt Zürich. Der genaue Fundort ist ein stark gekiester Weg mit auffallender Moosbildung, daneben hat es beidseits “dauerfeuchte” Wiesen. Diese Wiesen blieben jeweils auch während längerer Trockenphasen üppig grün. Wir konnten dies selber beobachten, weil wir diese Parkanlage häufig besuchen. Laut einem Friedhofgärtner soll es hier eine unterirdische Wasserführung geben.
Am angegebenen Ort gibt es aktuell keine Gräber.

Die Moosart konnten wir leider nicht bestimmen.
Im Habitat fanden wir an Begleitpflanzen neben dem erwähnten Moos hauptsächlich Erigon canadensis (Kanadisches Berufkraut, Bild 1), Sedum acre (Scharfer Mauerpfeffer, Bild 2) und Hypochaeris glabra (Kahles Ferkelkraut, Bild 3).

Mikro- und makroskopische Untersuchungen unseres Fundes

Die mikroskopische Untersuchung ergab Sporen bis zu einer Grösse von 10.5 x 6.5 µm, meist waren sie etwas kleiner: zwischen 7.5-9 x 5.3-6.5 µm (s. Bild 4).
Das Sporenpulver war weiss und inamyloid (d.h. es erfolgte keine Blaufärbung der Sporen nach Zugabe des sog. Melzers-Reagens, s. Bild 5).

Nabelingsähnliche Gattungen mit amyloiden Sporen wie z.B. Myxomphalina (Kohlennabelinge) und Xeromphalina (Glöckchennabelinge) konnten mit diesem Befund ausgeschlossen werden.
Zystiden, d.h. auffallend geformte sterile Zellen zwischen den Basidien, konnten ebenfalls keine festgestellt werden (s. Bild 6). Damit fallen auch weitere nabelingsähnliche Gattungen wie Rickenella (Heftelnabelinge), Chrysomphalina (Goldnabelinge) und Gerronema (Nabeltrichterlinge) weg.

Auch die Gattung Lichenomphalia (Flechtennabelinge) entfällt, da sie zwingend mit Algen vergesellschaftet ist, was bei den gefundenen Exemplaren nicht zutrifft.

Bild 7: Lamellen unter der Stereolupe (Stack-Foto)

Die Lamellen sind bei unseren Exemplaren deutlich untermischt (d.h. die Lamellen sind unterschiedlich lang, s. Bild 7), und es sind keine Anastomosen (Querverbindungen zwischen den Lamellen) zu finden. Somit kann auch Omphalina rickenii (Rickens Nabeling, auch Geröll-Nabeling genannt), nach >Index fungorum< (1) inzwischen als Arrhenia rickenii eingeordnet, ausgeschieden werden.

Die Hutdeckschicht unseres untersuchten Exemplares enthält leicht inkrustierte Hyphen und einzelne Hyphen haben Schnallenbildungen (bügelartige Verbindungen zwischen den Pilzfäden, s. Bild 8)

Die meisten Omphalina-Arten sollen mit Moosen vergesellschaftet sein, bzw. an Moosen wachsen.
Die von uns gefundenen Exemplare wuchsen auf moosreichem Kiesboden.
Alle diese Nabelinge hatten eine deutlich rotbraune bis hellrotbraune Hutfärbung, auch die Stiele waren rotbraun. Omphalina-Arten mit typisch grauer, schwarzbrauner bis schwärzlicher Färbung konnten daher ebenfalls ausgeschlossen werden.
Omphalina epichysium (Holz-Nabeling), die an Holz wächst, kommt ebenfalls nicht infrage.

Zu den makro- und mikroskopischen Beschreibungen passen die Arten Omphalina pyxidata (Rotbrauner Nabeling) und die sehr ähnliche Art Omphalina hepatica (Leberbrauner Nabeling) mit praktisch gleicher Sporengrösse und ähnlicher makroskopischer Beschreibung am besten.

Die makroskopisch gleichfalls ähnliche Art Omphalina rivulicola (Bach-Nabeling) konnte trotz ihres sehr ähnlichen Aussehens bald ausgeschlossen werden, da sie an subalpinen Standorten gedeiht und grössere Sporen (bei Breitenbach-Kränzlin (2): 7.6-10.2 x 5.1-7 µm) beherbergt.

Charakterisierung von O. pyxidata und O. hepatica durch verschiedene Autoren

Omphalina pyxidata: “Sehr gesellig, bisw. sogar kleinbüschelig, auf offenen, trockenen wie mässig feuchten, sandigen bis schotterigen Flächen, zwischen Gräsern und Moosen” … “ziemlich häufig”(3). “Auf Moos, z.B. zwischen gepflasterten Steinen an feuchten Orten” (4). “An sandigen Wegrändern, auf verwitternden Felsblöcken, an feuchten Stellen, oft zwischen Moosen” … “nicht häufig” (5). “An grasig-moosigen Stellen, Wiesen, Weiden, Wegränder, auf Sandböden, selten …” (6).
O. pyxidata wird auch als Charakterpilz auf Schwemmebenen bezeichnet – also durch Flüsse aufgeschüttete Ablagerungen von Sedimenten – und soll dort in grosser Anzahl vorkommen können (7).

Die von uns gemessenen Sporen (7.5-9 x 5.3-6.5 µm) waren etwas breiter als bei Breitenbach-Kränzlin (5) (6.5-8.8 x 3.6-5.6 µm) angegeben.
O. pyxidatas Sporen werden bei Flammer (4) als “eingeschnürt” bezeichnet – was wir bei den vorliegenden Sporen nicht beobachten konnten.

Omphalina hepatica: “In Torfgebieten und Oedland, auf Erde an kahlen Stellen” … Hüte “stark hygrophan und kaum bis schwach gerieft” (8); Moose werden hier nicht erwähnt!
“Einzeln bis kleinbüschelig in Trockenrasen, auf kurzgrasigen, moosigen Naturwiesen, Wacholdertriften oder Sanddünen, selten auch auf Brandstellen” (3). Ludwig betont auch, dass die Stiele “… auffallend weissfaserig übersponnen bis flaumig-haarig” seien. Letzteren Sachverhalt konnten wir bei unseren Exemplaren nicht bestätigen.

Von den zu Rate gezogenen Autorinnen und Autoren werden Wälder nie als Habitat von O. pyxidata oder O. hepatica genannt.

Die beiden Arten Omphalina pyxidata und Omphalina hepatica sind sich offenbar so ähnlich, dass sie von einigen Autoren synonymisiert werden (9).
Im >Index fungorum< (10) werden diese beiden Arten jedoch weiterhin getrennt aufgeführt.

Wir entschieden uns, unter Beachtung des von uns beschriebenen Habitats, dessen Höhenlage, der Hut- und Stielfärbung der Pilzfruchtkörper, der auffallenden Hutriefung, der nichthygrophanen Hüte, der deutlichen Trichterung (Nabelbildung), der fehlenden weissfaserig übersponnenen Stiele, der Sporengrösse und -gestaltung für Omphalina pyxidata.

Omphalina pyxidata in seinem Habitat: kiesig-moosiger Weg in einem Friedhof

Deutsche Namensgebungen von O. pyxidata

Omphalina pyxidata hat in der deutschen Sprache verschiedenste Namen erhalten:

Rotbrauner Nabeling (3),(11)
Scherbenbrauner Nabeling (12)
Durchscheinend geriefter Nabeling (13),(4)
Becherförmiger Nabeling (5),(14)
Starkgeriefter Nabeling (14)
Seidiger Nabeling (14)

Jeder dieser Namen hebt offenbar eine charakteristische Eigenschaft der von uns gefundenen Pilzfruchtkörpern hervor.

Systematik

Die Zuordnung von Omphalina pyxidata zu einer mykologischen Familie ist momentan noch unklar (und wird im >Index fungorum< (10) mit “incertae sedis”, unklarer Stellung, bezeichnet). Die Ordnung, zu der O. pyxidata gehört, nennt sich Agaricales, d.h. Champignonartige.

DNS-Untersuchung

Eine kleine Unsicherheit blieb bei unserer Bestimmung jedoch bestehen.
Um sicher zu gehen, dass keine Verwechslung mit einer anderen Nabelingsart bestand, sandten wir ein Exsikkat eines gefundenen Exemplares (lediglich mit der Bemerkung: “Omphalina?”) an das Labor >Alvalab< in Spanien(15) zur DNS-Sequenzierung. Einen Monat später erhielten wir per Mail die geschriebene DNS-Sequenz mit der Feststellung, dass es sich um Omphalina pyxidata handelt! (s. auch DNS-Sequenz im Anhang).

Leider bietet auch diese DNS-Bestimmung noch keine absolute Sicherheit, da in den DNS-Bibliotheken momentan noch zahlreiche Fehlbestimmungen zu finden sind (16).

Schlussbemerkungen

Die Angaben in der Literatur und im Internet über die Häufigkeit unseres Rotbraunen Nabelings waren nicht hilfreich. Sie reichen von häufig über nicht häufig bis selten. Wir interpretieren dies so, dass er, wenn er an bestimmten Orten (z.B. Schwemmebenen, sandig-kiesig-feuchtem Boden mit viel Moos) gefunden wird, in grossen Mengen vorkommen kann(7), an den meisten anderen Orten aber eher selten zu finden ist. In der >Roten Liste der gefährdeten Grosspilze der Schweiz< (12) wird O. pyxidata sogar als vulnerabel, sprich verletzlich, angegeben. Auch die >SwissFungi Verbreitungskarte< (17) zeigt für O. pyxidata – vor allem in der nördlichen Schweiz – recht wenige Fundmeldungen (s. Abb.1).

Abb. 1: Verbreitung von O. pyxidata in der Schweiz – >SwissFungi Verbreitungskarte< (17)

Quellenangaben

(1) Index fungorum (zu O. rickenii, bzw. Arrhenia rickenii): http://www.indexfungorum.org/names/NamesRecord.asp?RecordID=125095 –
abgerufen August 2022.
(2) Josef Breitenbach & Fred Kränzlin: Pilze der Schweiz. Band 3. Luzern: Verlag Mykologia Luzern, 1991. S. 306 (Nr. 385).
(3) Erhard Ludwig: Pilzkompendium Band 1 (Textband). Eching: IHW-Verlag, 2001, S. 451 (Nr. 55.21).
(4) René Flammer & Thomas Flammer: Mycopedia.ch/pilze/6916.htm – abgerufen März 2022.
(5) Josef Breitenbach & Fred Kränzlin: Pilze der Schweiz. Band 3. Luzern: Verlag Mykologia Luzern, 1991. S. 304 (Nr. 383).
(6) Ewald Gerhardt: Der grosse BLV-Pilzführer. München: BLV Buchverlag, 2013, S. 214.
(7) Ivan Cucchi, Pilzobmann des Vereins für Pilzkunde Zürich: mündliche Bemerkung, November 2022.
(8) Josef Breitenbach & Fred Kränzlin: Pilze der Schweiz. Band 3. Luzern: Verlag Mykologia Luzern, 1991. S. 302 (Nr. 380).
(9) Jürgen Marqua & Christian Fischer: Pilzflora Ehingen, pilzflora-ehingen.de/pilzflors/arthtml/opyxidata.php), abgerufen November 2022.
(10) Index fungorum (zu O. pyxidata): indexfungorum.org/names/NamesRecord.asp?RecordID=356748 –
abgerufen August 2022.
(11) Achmin Bollmann, Andreas Gminder & Peter Reil: Abbildungsverzeichnis europ. Grosspilze. Hornberg: Schwarzwälder Pilzlehrschau, 2007.
(12) Rote Liste der gefährdeten Grosspilze der Schweiz, 2007: raumentwicklung.tg.ch/public/upload/assets/52263/Rote_Liste_gefaehrdete_Grosspilze_CH.pdf?fp=1 – abgerufen November 2022.
(13) Beatrice Senn-Irlet: Die höheren Pilze (Basidiomycetes, Ascomycetes) des Naturschutzgebietes Oberaar. Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft Bern, Bd. 45, 1988.
(14) Pilzbestimmer.de (ohne Angaben von Autoren): pilzbestimmer.de/Detailed/10381.html – abgerufen März 2022.
(15) Labor Alvalab, Orviedo, Spanien – alvalab.es
(16) Bernhard Oertel: mündliche Bemerkung. Workshop zur DNS-Sequenzierung im Verein für Pilzkunde Zürich, 24.03.2019.
(17) SwissFungi Verbreitungskarte der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL: wsl.ch/map_fungi/search?taxon=5091&start=1991&end=2023&lang=de – abgerufen am 11.02.2023.

Jürg und Edith Mächler-Frey, Zürich, 12.02.2023


Anhang

Folgend die vom Labor Alvalab (alvalab.es) (15) erhaltene Original-DNS-Sequenz des eingesandten Omphalina-pyxidata-Exsikkates:

NNNNNNNCNTTCTCNNNANNNNANCTCGGACGGCCACAAGGACCGCCAGATTTTAAATTTGAGCTTTTCCCGCTTCACTCGCAGTTACTAGGGGAATCCTTGTTAGTTTCTTTTCCTCCGCTTATTGATATGCTTAAGTTCAGCGGGTAGTCCTACCTGATTTGAGGTCAAATAGTCAATAAATTGTCCAAGTGAATGGACGATTAGAAGCTGAACCCCATTGAAATCTGCTTCACGACAAATGGCGTAGATAATTATCACACCAAAAGACGGTCCACAAAGGTTCCGCTAATGCATTTAAGGGGAGCTGACCTCTCAATTGAAGCCTGCAAACCCCCAGATCCAAGCCTGACCAGTTTTGTAAACAAAGCTGAAAAGGTTGAGAATTTAATGACACTCAAACAGGCATGCTCCTCGGAATACCAAGGAGCGCAAGGTGCGTTCAAAGATTCGATGATTCACTGAATTCTGCAATTCACATTACTTATCGCATTTCGCTGCGTTCTTCATCGATGCGAGAGCCAAGAGATCCGTTGTTGAAAGTTGTATAAGTTTTAAAGGCAATGAAAGCCTATAAAATTACATTCAAAGACATACAAATTAAGGGTATATGAAAACATAGACTGCGAAATGCAAAGAAAGCTGTCCTTCAAAGAAGAAATTCAGCAACCTTCAATCCAAGCAATTTGCTTGAAAGGTATCACAAGTCTACAATGAGTGCACAGGTGGTTAAAATGAAAACAAGTGTGCACATGCTCCTAAGAGCCAGCTACAACTTGCTTCAAAGTAATTCAATAATGATCCTTCCGCAGGTTCACCTACGGAAACCTTGTTACGACTTTTACTTCCTCTAAATGGACCAAGAAA